Das allgegenwärtige Thema im März 2020

Wel­che Medi­en man heu­te auch nutzt, ob Zei­tung, Radio Fern­se­hen oder Inter­net, das The­ma ist omni­prä­sent. Wir sehen Schre­ckens­bil­der aus Ita­li­en, lesen Berich­te über die welt­wei­te Zunah­me von lei­den­den und ster­ben­den Men­schen und vie­les mehr, das uns gedank­lich und emo­tio­nal sehr her­aus­for­dert. Bei die­ser Über­fül­le von Infor­ma­tio­nen, die sich teils auch wider­spre­chen, ist es nicht immer ein­fach, ruhig und beson­nen zu blei­ben. Der Fokus der aktu­el­len Bericht­erstat­tung rich­tet sich aus­schliess­lich auf das Pro­blem. Um der Gefahr zu ent­ge­hen von die­sem Infor­ma­ti­ons­ka­rus­sell mit­ge­ris­sen zu wer­den, scheint es mir wich­tig, inne­zu­hal­ten und den Ver­such zu machen, die Din­ge auch immer wie­der aus Distanz zu sehen.

Im nach­fol­gen­den Text von Mat­thi­as Horx habe ich eine Stim­me gefun­den, die dazu bei­tra­gen kann die eige­nen Gedan­ken und Gefüh­le etwas zur Ruhe zu brin­gen um sie zu ord­nen. Ich habe mich des­halb ent­schie­den die­sen Text in mei­nem Blog zu tei­len und freue mich auf eure Rück­mel­dun­gen.

Ich wün­sche euch Zuver­sicht, gute Gesund­heit und „Take Care“ für euch selbst und euer Umfeld.

Herz­lich
Cathe­ri­ne De Clercq

Mit freund­li­cher Geneh­mi­gung von Mat­thi­as Horx
www.horx.com und www.zukunftsinstitut.de

Ich wer­de der­zeit oft gefragt, wann Coro­na denn „vor­bei sein wird”, und alles wie­der zur Nor­ma­li­tät zurück­kehrt. Mei­ne Ant­wort: Nie­mals. Es gibt his­to­ri­sche Momen­te, in denen die Zukunft ihre Rich­tung ändert. Wir nen­nen sie Bif­ur­ka­tio­nen. Oder Tief­en­kri­sen. Die­se Zei­ten sind jetzt.

Die Welt as we know it löst sich gera­de auf. Aber dahin­ter fügt sich eine neue Welt zusam­men, deren For­mung wir zumin­dest erah­nen kön­nen. Dafür möch­te ich Ihnen eine Übung anbie­ten, mit der wir in Visi­ons­pro­zes­sen bei Unter­neh­men gute Erfah­run­gen gemacht haben. Wir nen­nen sie die RE-Gno­se. Im Gegen­satz zur PRO-Gno­se schau­en wir mit die­ser Tech­nik nicht »in die Zukunft«. Son­dern von der Zukunft aus ZURÜCK ins Heu­te. Klingt ver­rückt? Ver­su­chen wir es ein­mal:

Die Re-Gnose: Unsere Welt im Herbst 2020

Stel­len wir uns eine Situa­ti­on im Herbst vor, sagen wir im Sep­tem­ber 2020. Wir sit­zen in einem Stra­ßen­ca­fe in einer Groß­stadt. Es ist warm, und auf der Stras­se bewe­gen sich wie­der Men­schen. Bewe­gen sie sich anders? Ist alles so wie frü­her? Schmeckt der Wein, der Cock­tail, der Kaf­fee, wie­der wie frü­her? Wie damals vor Coro­na?
Oder sogar bes­ser?
Wor­über wer­den wir uns rück­bli­ckend wun­dern?

Wir wer­den uns wun­dern, dass die sozia­len Ver­zich­te, die wir leis­ten muss­ten, sel­ten zu Ver­ein­sa­mung führ­ten. Im Gegen­teil. Nach einer ers­ten Schock­star­re fühl­ten vie­le von sich sogar erleich­tert, dass das vie­le Ren­nen, Reden, Kom­mu­ni­zie­ren auf Mul­ti­ka­nä­len plötz­lich zu einem Halt kam. Ver­zich­te müs­sen nicht unbe­dingt Ver­lust bedeu­ten, son­dern kön­nen sogar neue Mög­lich­keits­räu­me eröff­nen. Das hat schon man­cher erlebt, der zum Bei­spiel Inter­vall­fas­ten pro­bier­te – und dem plötz­lich das Essen wie­der schmeck­te. Para­do­xer­wei­se erzeug­te die kör­per­li­che Distanz, die der Virus erzwang, gleich­zei­tig neue Nähe. Wir haben Men­schen ken­nen­ge­lernt, die wir sonst nie ken­nen­ge­lernt hät­ten. Wir haben alte Freun­de wie­der häu­fi­ger kon­tak­tiert, Bin­dun­gen ver­stärkt, die lose und locker gewor­den waren. Fami­li­en, Nach­barn, Freun­de, sind näher gerückt und haben bis­wei­len sogar ver­bor­ge­ne Kon­flik­te gelöst.

Die gesell­schaft­li­che Höf­lich­keit, die wir vor­her zuneh­mend ver­miss­ten, stieg an.

Jetzt im Herbst 2020 herrscht bei Fuss­ball­spie­len eine ganz ande­re Stim­mung als im Früh­jahr, als es jede Men­ge Mas­sen-Wut-Pöbe­lei­en gab. Wir wun­dern uns, war­um das so ist.

Wir wer­den uns wun­dern, wie schnell sich plötz­lich Kul­tur­tech­ni­ken des Digi­ta­len in der Pra­xis bewähr­ten. Tele- und Video­kon­fe­ren­zen, gegen die sich die meis­ten Kol­le­gen immer gewehrt hat­ten (der Busi­ness-Flie­ger war bes­ser) stell­ten sich als durch­aus prak­ti­ka­bel und pro­duk­tiv her­aus. Leh­rer lern­ten eine Men­ge über Inter­net-Tea­ching. Das Home­of­fice wur­de für Vie­le zu einer Selbst­ver­ständ­lich­keit – ein­schließ­lich des Impro­vi­sie­rens und Zeit-Jon­glie­rens, das damit ver­bun­den ist.

Gleich­zei­tig erleb­ten schein­bar ver­al­te­te Kul­tur­tech­ni­ken eine Renais­sance. Plötz­lich erwisch­te man nicht nur den Anruf­be­ant­wor­ter, wenn man anrief, son­dern real vor­han­de­ne Men­schen. Das Virus brach­te eine neue Kul­tur des Lang­te­le­fo­nie­ren ohne Second Screen her­vor. Auch die »mes­sa­ges« selbst beka­men plötz­lich eine neue Bedeu­tung. Man kom­mu­ni­zier­te wie­der wirk­lich. Man ließ nie­man­den mehr zap­peln. Man hielt nie­man­den mehr hin. So ent­stand eine neue Kul­tur der Erreich­bar­keit. Der Ver­bind­lich­keit.

Men­schen, die vor lau­ter Hek­tik nie zur Ruhe kamen, auch jun­ge Men­schen, mach­ten plötz­lich aus­gie­bi­ge Spa­zier­gän­ge (ein Wort, das vor­her eher ein Fremd­wort war). Bücher lesen wur­de plötz­lich zum Kult.

Rea­li­ty Shows wirk­ten plötz­lich grot­ten­pein­lich. Der gan­ze Tri­vi­al-Trash, der unend­li­che See­len­müll, der durch alle Kanä­le ström­te. Nein, er ver­schwand nicht völ­lig. Aber er ver­lor rasend an Wert.
Kann sich jemand noch an den Poli­ti­cal-Cor­rect­ness-Streit erin­nern? Die unend­lich vie­len Kul­tur­krie­ge um … ja um was ging da eigent­lich?

Kri­sen wir­ken vor allem dadurch, dass sie alte Phä­no­me­ne auf­lö­sen, über-flüs­sig machen…
Zynis­mus, die­se läs­si­ge Art, sich die Welt durch Abwer­tung vom Lei­be zu hal­ten, war plötz­lich reich­lich out.
Die Über­trei­bungs-Angst-Hys­te­rie in den Medi­en hielt sich, nach einem kur­zen ers­ten Aus­bruch, in Gren­zen.

Neben­bei erreich­te auch die unend­li­che Flut grau­sams­ter Kri­mi-Seri­en ihren Tip­ping Point.

Wir wer­den uns wun­dern, dass schließ­lich doch schon im Som­mer Medi­ka­men­te gefun­den wur­den, die die Über­le­bens­ra­te erhöh­ten. Dadurch wur­den die Todes­ra­ten gesenkt und Coro­na wur­de zu einem Virus, mit dem wir eben umge­hen müs­sen – ähn­lich wie die Grip­pe und die vie­len ande­ren Krank­hei­ten. Medi­zi­ni­scher Fort­schritt half. Aber wir haben auch erfah­ren: Nicht so sehr die Tech­nik, son­dern die Ver­än­de­rung sozia­ler Ver­hal­tens­for­men war das Ent­schei­den­de. Dass Men­schen trotz radi­ka­ler Ein­schrän­kun­gen soli­da­risch und kon­struk­tiv blei­ben konn­ten, gab den Aus­schlag. Die human-sozia­le Intel­li­genz hat gehol­fen. Die viel­ge­prie­se­ne Künst­li­che Intel­li­genz, die ja bekannt­lich alles lösen kann, hat dage­gen in Sachen Coro­na nur begrenzt gewirkt.

Damit hat sich das Ver­hält­nis zwi­schen Tech­no­lo­gie und Kul­tur ver­scho­ben. Vor der Kri­se schien Tech­no­lo­gie das All­heil­mit­tel, Trä­ger aller Uto­pien. Kein Mensch – oder nur noch weni­ge Hart­ge­sot­te­ne – glau­ben heu­te noch an die gro­ße digi­ta­le Erlö­sung. Der gro­ße Tech­nik-Hype ist vor­bei. Wir rich­ten unse­re Auf­merk­sam­kei­ten wie­der mehr auf die huma­nen Fra­gen: Was ist der Mensch? Was sind wir für­ein­an­der?

Wir stau­nen rück­wärts, wie­viel Humor und Mit­mensch­lich­keit in den Tagen des Virus tat­säch­lich ent­stan­den ist.

Wir wer­den uns wun­dern, wie weit die Öko­no­mie schrump­fen konn­te, ohne dass so etwas wie »Zusam­men­bruch« tat­säch­lich pas­sier­te, der vor­her bei jeder noch so klei­nen Steu­er­erhö­hung und jedem staat­li­chen Ein­griff beschwo­ren wur­de. Obwohl es einen »schwar­zen April« gab, einen tie­fen Kon­junk­tur­ein­bruch und einen Bör­sen­ein­bruch von 50 Pro­zent, obwohl vie­le Unter­neh­men plei­te­gin­gen, schrumpf­ten oder in etwas völ­lig ande­res mutier­ten, kam es nie zum Null­punkt. Als wäre Wirt­schaft ein atmen­des Wesen, das auch dösen oder schla­fen und sogar träu­men kann.

Heu­te im Herbst, gibt es wie­der eine Welt­wirt­schaft. Aber die Glo­ba­le Just-in-Time-Pro­duk­ti­on, mit rie­si­gen ver­zweig­ten Wert­schöp­fungs­ket­ten, bei denen Mil­lio­nen Ein­zel­tei­le über den Pla­ne­ten gekarrt wer­den, hat sich über­lebt. Sie wird gera­de demon­tiert und neu kon­fi­gu­riert. Über­all in den Pro­duk­tio­nen und Ser­vice-Ein­rich­tun­gen wach­sen wie­der Zwi­schen­la­ger, Depots, Reser­ven. Orts­na­he Pro­duk­tio­nen boo­men, Netz­wer­ke wer­den loka­li­siert, das Hand­werk erlebt eine Renais­sance. Das Glo­bal-Sys­tem drif­tet in Rich­tung Glo­KA­Li­sie­rung: Loka­li­sie­rung des Glo­ba­len.

Wir wer­den uns wun­dern, dass sogar die Ver­mö­gens­ver­lus­te durch den Bör­sen­ein­bruch nicht so schmer­zen, wie es sich am Anfang anfühl­te. In der neu­en Welt spielt Ver­mö­gen plötz­lich nicht mehr die ent­schei­den­de Rol­le. Wich­ti­ger sind gute Nach­barn und ein blü­hen­der Gemü­se­gar­ten.

Könn­te es sein, dass das Virus unser Leben in eine Rich­tung geän­dert hat, in die es sich sowie­so ver­än­dern woll­te?

RE-Gnose: Gegenwartsbewältigung durch Zukunfts-Sprung

War­um wirkt die­se Art der »Von-Vor­ne-Sze­na­ri­os« so irri­tie­rend anders als eine klas­si­sche Pro­gno­se? Das hängt mit den spe­zi­fi­schen Eigen­schaf­ten unse­res Zukunfts-Sinns zusam­men. Wenn wir »in die Zukunft« schau­en, sehen wir ja meis­tens nur die Gefah­ren und Pro­ble­me »auf uns zukom­men«, die sich zu unüber­wind­ba­ren Bar­rie­ren tür­men. Wie eine Loko­mo­ti­ve aus dem Tun­nel, die uns über­fährt. Die­se Angst-Bar­rie­re trennt uns von der Zukunft. Des­halb sind Hor­ror-Zukünf­te immer am Ein­fachs­ten dar­zu­stel­len.

Re-Gno­sen bil­den hin­ge­gen eine Erkennt­nis-Schlei­fe, in der wir uns selbst, unse­ren inne­ren Wan­del, in die Zukunfts­rech­nung ein­be­zie­hen. Wir set­zen uns inner­lich mit der Zukunft in Ver­bin­dung, und dadurch ent­steht eine Brü­cke zwi­schen Heu­te und Mor­gen. Es ent­steht ein »Future Mind« – Zukunfts-Bewusst­heit.

Wenn man das rich­tig macht, ent­steht so etwas wie Zukunfts-Intel­li­genz. Wir sind in der Lage, nicht nur die äuße­ren »Events«, son­dern auch die inne­ren Adap­tio­nen, mit denen wir auf eine ver­än­der­te Welt reagie­ren, zu anti­zi­pie­ren.

Das fühlt sich schon ganz anders an als eine Pro­gno­se, die in ihrem apo­dik­ti­schen Cha­rak­ter immer etwas Totes, Ste­ri­les hat. Wir ver­las­sen die Angst­star­re und gera­ten wie­der in die Leben­dig­keit, die zu jeder wah­ren Zukunft gehört.

Wir alle ken­nen das Gefühl der geglück­ten Angst­über­win­dung. Wenn wir für eine Behand­lung zum Zahn­arzt gehen, sind wir schon lan­ge vor­her besorgt. Wir ver­lie­ren auf dem Zahn­arzt­stuhl die Kon­trol­le und das schmerzt, bevor es über­haupt weh­tut. In der Anti­zi­pa­ti­on die­ses Gefühls stei­gern wir uns in Ängs­te hin­ein, die uns völ­lig über­wäl­ti­gen kön­nen. Wenn wir dann aller­dings die Pro­ze­dur über­stan­den haben, kommt es zum Coping-Gefühl: Die Welt wirkt wie­der jung und frisch und wir sind plötz­lich vol­ler Taten­drang.

Coping heißt: bewäl­ti­gen. Neu­ro­bio­lo­gisch wird dabei das Angst-Adre­na­lin durch Dopa­min ersetzt, eine Art kör­per­ei­ge­ner Zukunfts-Dro­ge. Wäh­rend uns Adre­na­lin zu Flucht oder Kampf anlei­tet (was auf dem Zahn­arzt­stuhl nicht so rich­tig pro­duk­tiv ist, eben­so wenig wie beim Kampf gegen Coro­na), öff­net Dopa­min unse­re Hirn­syn­ap­sen: Wir sind gespannt auf das Kom­men­de, neu­gie­rig, vor­aus­schau­end. Wenn wir einen gesun­den Dopa­min-Spie­gel haben, schmie­den wir Plä­ne, haben Visio­nen, die uns in die vor­aus­schau­en­de Hand­lung brin­gen.

Erstaun­li­cher­wei­se machen vie­le in der Coro­na-Kri­se genau die­se Erfah­rung. Aus einem mas­si­ven Kon­troll­ver­lust wird plötz­lich ein regel­rech­ter Rausch des Posi­ti­ven. Nach einer Zeit der Fas­sungs­lo­sig­keit und Angst ent­steht eine inne­re Kraft. Die Welt »endet«, aber in der Erfah­rung, dass wir immer noch da sind, ent­steht eine Art Neu-Sein im Inne­ren.

Mit­ten im Shut-Down der Zivi­li­sa­ti­on lau­fen wir durch Wäl­der oder Parks, oder über fast lee­re Plät­ze. Aber das ist kei­ne Apo­ka­lyp­se, son­dern ein Neu­an­fang.

So erweist sich: Wan­del beginnt als ver­än­der­tes Mus­ter von Erwar­tun­gen, von Wahr-Neh­mun­gen und Welt-Ver­bin­dun­gen. Dabei ist es manch­mal gera­de der Bruch mit den Rou­ti­nen, dem Gewohn­ten, der unse­ren Zukunfts-Sinn wie­der frei­setzt. Die Vor­stel­lung und Gewiss­heit, dass alles ganz anders sein könn­te – auch im Bes­se­ren.

Viel­leicht wer­den wir uns sogar wun­dern, dass Trump im Novem­ber abge­wählt wird. Die AFD zeigt ernst­haf­te Zer­fran­sens-Erschei­nun­gen, weil eine bös­ar­ti­ge, spal­ten­de Poli­tik nicht zu einer Coro­na-Welt passt. In der Coro­na-Kri­se wur­de deut­lich, dass die­je­ni­gen, die Men­schen gegen­ein­an­der auf­het­zen wol­len, zu ech­ten Zukunfts­fra­gen nichts bei­zu­tra­gen haben. Wenn es ernst wird, wird das Destruk­ti­ve deut­lich, das im Popu­lis­mus wohnt.

Poli­tik in ihrem Ur-Sin­ne als For­mung gesell­schaft­li­cher Ver­ant­wort­lich­kei­ten bekam in die­ser Kri­se eine neue Glaub­wür­dig­keit, eine neue Legi­ti­mi­tät. Gera­de weil sie »auto­ri­tär« han­deln muss­te, schuf Poli­tik Ver­trau­en ins Gesell­schaft­li­che. Auch die Wis­sen­schaft hat in der Bewäh­rungs­kri­se eine erstaun­li­che Renais­sance erlebt. Viro­lo­gen und Epi­de­mio­lo­gen wur­den zu Medi­en­stars, aber auch »futu­ris­ti­sche« Phi­lo­so­phen, Sozio­lo­gen, Psy­cho­lo­gen, Anthro­po­lo­gen, die vor­her eher am Ran­de der pola­ri­sier­ten Debat­ten stan­den, beka­men wie­der Stim­me und Gewicht.

Fake News hin­ge­gen ver­lo­ren rapi­de an Markt­wert. Auch Ver­schwö­rungs­theo­rien wirk­ten plötz­lich wie Laden­hü­ter, obwohl sie wie sau­res Bier ange­bo­ten wur­den.

Ein Virus als Evolutionsbeschleuniger

Tie­fe Kri­sen wei­sen oben­drein auf ein wei­te­res Grund­prin­zip des Wan­dels hin: Die Trend-Gegen­trend-Syn­the­se.

Die neue Welt nach Coro­na – oder bes­ser mit Coro­na – ent­steht aus der Dis­rup­ti­on des Mega­trends Kon­nek­ti­vi­tät. Poli­tisch-öko­no­misch wird die­ses Phä­no­men auch »Glo­ba­li­sie­rung« genannt. Die Unter­bre­chung der Kon­nek­ti­vi­tät – durch Grenz­schlie­ßun­gen, Sepa­ra­tio­nen, Abschot­tun­gen, Qua­ran­tä­nen – führt aber nicht zu einem Abschaf­fen der Ver­bin­dun­gen. Son­dern zu einer Neu­or­ga­ni­sa­ti­on der Kon­nek­to­me, die unse­re Welt zusam­men­hal­ten und in die Zukunft tra­gen. Es kommt zu einem Pha­sen­sprung der sozio-öko­no­mi­schen Sys­te­me.

Die kom­men­de Welt wird Distanz wie­der schät­zen – und gera­de dadurch Ver­bun­den­heit qua­li­ta­ti­ver gestal­ten. Auto­no­mie und Abhän­gig­keit, Öff­nung und Schlie­ßung, wer­den neu aus­ba­lan­ciert. Dadurch kann die Welt kom­ple­xer, zugleich aber auch sta­bi­ler wer­den. Die­se Umfor­mung ist weit­ge­hend ein blin­der evo­lu­tio­nä­rer Pro­zess – weil das eine schei­tert, setzt sich das Neue, über­le­bens­fä­hig, durch. Das macht einen zunächst schwin­de­lig, aber dann erweist es sei­nen inne­ren Sinn: Zukunfts­fä­hig ist das, was die Para­do­xien auf einer neu­en Ebe­ne ver­bin­det.

Die­ser Pro­zess der Kom­ple­xie­rung – nicht zu ver­wech­seln mit Kom­pli­zie­rung – kann aber auch von Men­schen bewusst gestal­tet wer­den. Die­je­ni­gen, die das kön­nen, die die Spra­che der kom­men­den Kom­ple­xi­tät spre­chen, wer­den die Füh­rer von Mor­gen sein. Die wer­den­den Hoff­nungs­trä­ger. Die kom­men­den Gre­tas.

„Wir wer­den durch Coro­na unse­re gesam­te Ein­stel­lung gegen­über dem Leben anpas­sen – im Sin­ne unse­rer Exis­tenz als Lebe­we­sen inmit­ten ande­rer Lebens­for­men.”

Sla­vo Zizek im Höhe­punkt der Coro­na­kri­se Mit­te März

Jede Tief­en­kri­se hin­ter­lässt eine Sto­ry, ein Nar­ra­tiv, das weit in die Zukunft weist. Eine der stärks­ten Visio­nen, die das Coro­na­vi­rus hin­ter­lässt, sind die musi­zie­ren­den Ita­lie­ner auf den Bal­ko­nen. Die zwei­te Visi­on sen­den uns die Satel­li­ten­bil­der, die plötz­lich die Indus­trie­ge­bie­te Chi­nas und Ita­li­ens frei von Smog zei­gen. 2020 wird der CO2-Aus­stoss der Mensch­heit zum ers­ten Mal fal­len. Die­se Tat­sa­che wird etwas mit uns machen.

Wenn das Virus so etwas kann – kön­nen wir das womög­lich auch? Viel­leicht war der Virus nur ein Send­bo­te aus der Zukunft. Sei­ne dras­ti­sche Bot­schaft lau­tet: Die mensch­li­che Zivi­li­sa­ti­on ist zu dicht, zu schnell, zu über­hitzt gewor­den. Sie rast zu sehr in eine bestimm­te Rich­tung, in der es kei­ne Zukunft gibt.

Aber sie kann sich neu erfin­den.
Sys­tem reset.
Cool down!
Musik auf den Bal­ko­nen!
So geht Zukunft.

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